Mit Ihrem Engagement im Verein DRJUG e.V. brachte unsere heutige Gesprächspartnerin Marija Ruzhitskaya bereits viele junge Menschen an einen Tisch, um gemeinsam über die Gegenwart, aber auch über Zukunftsvisionen zu sprechen. DRJUG e.V ist ein ehrenamtlicher deutsch-russischer Jugendverein, der nicht nur bilaterale, sondern auch multilaterale Verständigung fördert und Jugendliche aus verschiedenen Ländern zusammenbringt und miteinander vernetzt. Bezeichnend für den Verein ist, dass die Projekte von Jugendlichen für Jugendliche organisiert werden. Marija Ruzhitskaya selbst hat sich schon früh im Bereich internationale Jugendarbeit eingebracht. Bereits mit 16 Jahren war sie Teilnehmerin am Deutsch-Russischen Jugendparlament der Stiftung DRJA, was für sie eines ihrer Schlüsselmomente für ihre weiteren Aktivitäten darstellte. Im Gespräch erzählt sie uns, wie multilateraler Austausch innerhalb der Vereinsarbeit von DRJUG konkret ausgesehen hat, welches Ereignis ihr dort nachhaltig in Erinnerung geblieben ist und was der anhaltende Krieg für das Engagement der jungen Mitglieder bedeutet.
1. Der Verein organisiert auch multilaterale Jugendprojekte, unter anderem mit russischen und ukrainischen Jugendlichen. Wie sehen solche Projekte konkret aus und mit welchen Schwerpunkten haben sie stattgefunden?
Bei unseren multilateralen Jugendforen haben wir 30 – 36 junge Teilnehmende eingeladen, die jeweils aus 3 bzw. 4 Ländern (Deutschland, Russland, Frankreich, Ukraine) kamen. Ziel der Projekte war es stets, den Austausch zwischen jungen Menschen zu ermöglichen, die sich sonst nicht kennengelernt hätten. Die Projekte hatten thematisch unterschiedliche Schwerpunkte, alle mit dem Ziel, die eigene, gemeinsame, Zukunft zu beleuchten und zu skizzieren. Im Rahmen dessen wurden alle Themen besprochen – von Klima, über Verkehr bis hin zu Sicherheit und Bildung. Im Fokus standen aber die alltäglichen Fragen: Studieren in den Ländern, Forschen, als auch das Engagement in Feuerwehren, NGOs und Studierendeninitiativen.
2. Gibt es in den vielen Jahren DRJUG ein Projekt, das Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben ist?
Am meisten in Erinnerung geblieben ist mir das erste deutsch-russisch-ukrainische Jugendforum, das wir im Jahr 2014 durchgeführt haben. Damals haben uns von 100 Personen 99 abgeraten, das Jugendforum durchzuführen. Wir haben jedoch an die Projektidee geglaubt und haben gemeinsam mit jungen Menschen aus der Ukraine den Trialog organisiert. Bei der Eröffnung im Dezember 2014 sind das erste Mal in dem Jahr der russische Botschafter, der Gesandte der ukrainischen Botschaft und der deutsche Staatssekretär im Auswärtigen Amt bei einer Veranstaltung gemeinsam aufgetreten. Das war für uns und die Teilnehmenden ein wichtiger Moment, aber vor Allem auch für die gemeinsame Arbeit besonders wichtig. Weshalb ich mich an dieses Jugendforum aber vor Allem in diesen Tagen immer wieder erinnere ist folgendes Ereignis: Während des Jugendforums hatten wir einen jungen ukrainischen Teilnehmer, er war wie ich damals gerade einmal 18 Jahre alt. Während des Forums war er sehr zurückhaltend und skeptisch, ob ein Dialog mit den Jugendlichen aus den anderen Ländern möglich ist. Nach dem Jugendforum postete er auf Facebook „Liebe Freunde, bitte denkt bei all den politischen Konflikten daran: Die Menschen in Deutschland und Russland sind auch unsere Brüder und Schwestern.“
3. Mit welchen Plänen ist der Verein für 2022 gestartet und welche Auswirkung hat der anhaltende Krieg darauf?
Wir hatten in diesem Jahr vor, unser 3. Jugendforum im Normandie-Format, unseren inzwischen 9. Deutsch-Polnisch-Russischen Trialog, sowie mehrere bilaterale Veranstaltungen durchzuführen. Nachdem wir als Verein 2021 das 10-jährige Bestehen feiern konnten, wollten wir in diesem Jahr noch mehr Begegnungen ermöglichen, um den Start für die nächsten 10 Jahre DRJUG legen zu können. Der Krieg hat vieles davon nun erst einmal unmöglich gemacht. Für mich ist klar: So lange Schüsse fallen, kann kein Jugendforum ungehindert stattfinden.
4. Was ging in Ihnen vor, als Sie von der Invasion der russischen Streitkräfte in die Ukraine erfuhren? Was war die Reaktion des Vereins und dessen Mitglieder?
In der Nacht vor der Invasion haben wir als Verein ein Video erstellt, um als Jugendliche ein Zeichen zu setzen „Lasst Diplomatie und nicht Waffen sprechen.“ Wenige Stunden später wache ich auf, weil ich über alle Kanäle die Nachricht von der Invasion rein bekomme. Ich konnte in den ersten 24 Stunden nicht verarbeiten, was passiert ist. Ich saß im Büro, habe meinen Job „normal“ fortgeführt und am laufenden Band Anrufe beantwortet, die stets anfingen mit „Marija, was ist da passiert?“.
Als Verein haben wir direkt versucht, über unsere Netzwerke diese Frage zu beantworten. Wir haben unsere Partner in der Ukraine kontaktiert, haben jungen Menschen aus Russland und der Ukraine geholfen, die nicht mehr weiterwussten. Von Projektmanagern wurden wir in Sekunden zu Krisenmanagern. Als Verein haben wir inzwischen Mitgliederdialoge durchgeführt, um die Frage zu beantworten, wie wir nun mittelfristig weitermachen wollen. Ich bin froh, dass unsere Mitglieder hinter uns stehen, bis heute hatten wir keinen einzigen Austritt.
5. Was glauben Sie, wie die Zukunft von DRJUG aussehen wird?
Der Austausch, unser Verein, lebt nun anders weiter: Unsere Mitglieder, Alumni und Freunde helfen sich nun gegenseitig. Wir bieten Plattformen für den zwischenmenschlichen Austausch an und setzen uns auf politischer Ebene für die junge Generation Deutschlands, Russlands und der Ukraine ein. Die Brücken, die dieser Krieg eingerissen hat, wird unsere Generation wieder aufbauen müssen – nicht gegeneinander, sondern miteinander. Das klingt in diesen Tagen unglaubwürdig. Aber wir dürfen nicht nur an die nächsten 10 Jahre denken, sondern an die nächsten 50 Jahre. Mir machen die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich Mut. Hier wurden bereits aus Feinden Freunde, die nun für ein gemeinschaftliches, freies Europa einstehen.
6. Ich wünsche МИР….?
…, dass dieser Krieg uns für die nächsten Jahrhunderte eine Lehre seien wird und die Generationen nach mir in einer Welt aufwachsen, in der Krieg nur ein Wort aus den Geschichtsbüchern ist. Ich wünsche mir, dass Deutsche, Ukrainer und Russen sich in den Armen liegen, frei von der Sorge, ob es das Morgen noch geben wird.
….dass die Politik und die Entscheidungsträger in unseren Ländern den Worten unseres Teilnehmers aus 2014 folgen. Wenn Bruder und Schwester sich streiten, sollten die Eltern eingreifen, bevor es zu schlimm wird. Dieser Moment ist vertan.