Ich wünsche МИР...

Interview mit Joachim Wullenweber, Leiter des Aufnahmeprogramms Russland bei Deutsches Youth For Understanding Komitee e.V. (YFU)

Bereits seit mehr  als 30 Jahren ist Joachim Wullenweber hauptamtlich für den gemeinnützigen Verein YFU (Youth For Understanding) tätig, die Hälfte davon als Leiter des Aufnahmeprogramms. YFU bietet seit über 65 Jahren Schüleraustausche weltweit an. Seit 1991 erstmals mit Russland. Der Schwerpunkt Joachim Wullenwebers Arbeit liegt darin, Verbindungen zu Staaten im östlichen Teil Europas zu intensivieren. Seit dem Angriffskrieg ist dieser Auftrag vor allem mit Blick auf Russland zu einer Mammutaufgabe geworden. Während viele Aktive und Organisationen ihre Arbeit auf Eis gelegt haben, hält YFU weiter an Gastaustauschen mit Russland fest. Warum Joachim Wullenweber der Meinung ist, dass der Austausch gerade jetzt wichtig ist, beantwortet er uns in diesem Gespräch.

3 Generationen: Gastvater, Gastopa, Austauchschüler

1.   Nach seiner Gründung 1957 ist das Netzwerk von YFU Deutschland kontinuierlich um weitere Austauschprogramme mit anderen Ländern gewachsen. Wann und mit welcher Intention kam das Austauschprogramm mit Russland dazu?

Direkt nach dem Fall der Mauer haben wir den politischen Umbruch genutzt und begonnen Kontakte zu möglichen Partnern im damaligen Ostblock aufgenommen, so auch zu Russland. Im Jahr 1991 konnten wir dann die erste Schülergruppe aus Russland bei uns begrüßen.
Seit der Gründung von YFU ist es unser Ziel, Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und gesellschaftlichen Systemen einander näher zu bringen. Uns ist es dabei wichtig, nicht den leichten Weg zu gehen, sondern aktiv Hürden abzubauen. Dabei haben gerade diejenigen Länder eine wichtige Bedeutung, deren Gesellschaft sich vermeintlich am meisten von unserer unterschieden. Daher war es nach dem Fall der Mauer für uns selbstverständlich, dass wir mit Russland zügig ein Programm starten.

2.  Jedes Land hat seine Besonderheiten. Aber gibt es etwas, was das Austauschprogramm mit Russland von anderen Programmen unterschieden hat?

Ja, dies gibt es auf alle Fälle. Die geopolitische Bedeutung Russlands war und ist sehr groß. Gerade vor dem Hintergrund der Gräueltaten im 2.Weltkrieg ist ein enger Austausch zwischen beiden Staaten aus unserer Sicht notwendig, um Ressentiments abzubauen und Verständnis füreinander aufzubauen.

3.   YFU hält trotz der aktuellen weltpolitischen Bedingungen am Austauschprogramm mit Russland fest. Warum?

Gerade in der aktuellen Situation der Entfremdung beider Länder ist es wichtig, nicht alle Brücken abzubauen. Wir engagieren uns für eine Welt, in der Menschen über kulturelle Grenzen hinweg Verständnis und Wertschätzung für andere Kulturen wie für die eigene entwickeln. Unter diesem Aspekt ist es uns wichtig, den Austausch mit Russland so weit es geht aufrecht zu erhalten. Trotz des russischen Einmarsches in die Ukraine und den daraus resultierenden Folgen des Krieges, sollten wir russischen Jugendlichen weiterhin Möglichkeiten bieten, ihren Horizont zu erweitern und zu lernen, dass es wichtig ist, Vielfalt zu erleben und andere Perspektiven zu respektieren. Wir müssen ihnen weiterhin die Chance geben, andere Perspektiven kennen zu lernen, um ein eigenes und ausgewogeneres Weltbild zu erlangen. Nur so können wir einen Beitrag leisten, dass in Russland Meinungsvielfalt weiterhin in Kleinen existiert.

4.  Was bedeutet der anhaltende Krieg für das Austauschprogramm und die Arbeit Ihrer Partner in Russland?

Die Arbeit unseres Partners in Russland wurde durch den Krieg massiv beeinflusst. Sie können seit 2020 kein Aufnahmeprogramm mehr anbieten, da den Partnern in unserem weltweit umspannenden Netzwerk eine Entsendung von Jugendlichen nach Russland zu viele Risiken birgt. Leider ist auch die Entsendung von Jugendlichen ins Ausland fast eingebrochen. Auch hier schätzen wir es so ein, dass die Eltern der Jugendlichen die Gefahr scheuen, ihr Kind in ein Land zu schicken, welches eine kritische Haltung zum Krieg in der Ukraine hat. Letztlich wird unser Partner in diesem Jahr nur einen Jugendlichen in die Schweiz schicken können und die Gefahr, dass der Austausch ganz zum Erliegen kommt ist sehr hoch.

5.   Zuletzt konnten Austauschschüler aus Russland ihr Austauschjahr nicht antreten. Was waren die Gründe und wie groß ist das Interesse an einem Austauschjahr in Deutschland noch?

Die Durchführung des Programms konnte nicht erfolgen, weil durch die Ausweisung von Botschaftspersonal die Kapazitäten der Deutschen Botschaft so stark reduziert wurden, dass die zeitnahe Erteilung eines Visums aktuell nicht mehr möglich ist.

6.  Ich wünsche МИР... (MИP [MIR] russ. für Frieden)?

Ich wünsche mir mehr Verständnis durch Verständigung. Nur wenn wir miteinander reden und Verständnis für andere entwickeln, können Konflikte dauerhaft gelöst werden.