70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges: Jugendaustausch –Verständigung – gemeinsame Zukunft

Warum war es für Sie reizvoll zur Eröffnung der deutsch-russischen Themenjahre „70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs: Jugendaustausch – Verständigung – gemeinsame Zukunft“ zu sprechen?

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg hat sowohl in der russischen als auch in der deutschen Gesellschaft und Politik einen hohen Stellenwert. Von daher ist es ein Thema, das beide Gesellschaften gleichermaßen berührt und gerade aufgrund der Unterschiede im Erinnern zu einem Dialog einlädt. Außerdem beschäftige ich mich als Erinnerungsforscherin seit vielen Jahren mit diesem Thema und bin von daher immer interessiert, an Veranstaltungen, die sich mit dem Erinnern beschäftigen, teilzunehmen. Abgesehen davon war es für mich sehr spannend zu sehen, ob und wie vor dem Hintergrund der angespannten politischen deutsch-russischen Beziehungen ein Dialog über ein kontroverses Thema auf einer anderen, eher gesellschaftlichen Ebene möglich ist. 

Welche Botschaft stand für Sie im Zentrum Ihres Vortrags?

Mir ging es zunächst darum, die wesentlichen Koordinaten der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland aufzuzeigen und zu erklären, warum diese Erinnerungskultur im Laufe eines langen Prozesses zu dem geworden ist, was wir heute beobachten können. Auf dieser Grundlage war mir daran gelegen, die russischen und deutschen Akteure zu ermutigen, in einen Dialog über dieses schwierige Thema einzutreten und dabei die ganz offensichtlich vorhandenen Unterschiede der Erinnerungskulturen in Russland und Deutschland nicht als Hindernis zu begreifen, sondern als Chance, sich gegenseitig gerade in einem Dialog über ein schwieriges Thema besser zu verstehen. 

Was denken Sie: welche sind die größten Herausforderungen für Akteure im deutsch-russischen Jugendaustausch, wenn das gemeinsame Erinnern an den Zweiten Weltkrieg im Zentrum der Zusammenarbeit steht?

Zunächst scheint es mir darum zu gehen, auszuhalten, dass sich die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg in Russland und Deutschland sehr unterschiedlich gestalten. Voraussetzung dafür ist, sich erst einmal gegenseitig offen und ohne Vorbehalte zuzuhören mit dem Ziel, zu verstehen, warum unsere Erinnerungen so unterschiedlich sind. Auf dieser Grundlage können wir dann in einen Dialog eintreten und schauen, was wir daraus im Sinne einer nicht nur national gerahmten, sondern auch transnational zu gestaltenden Erinnerung machen können. All das ist keine leichte Aufgabe und sicherlich nicht von heute auf morgen zu erreichen. Solch ein Prozess braucht jedenfalls viel Zeit und die Absicht aller Beteiligten, sich darauf ehrlich und offen einzulassen. 

Was raten Sie den Akteuren: wie können sie mit diesen Herausforderungen umgehen?

Wichtig wäre meiner Ansicht nach ein Ansatz, der nicht davon ausgeht, dass nur durch potentiell harmonisierende Themen oder Rituale Verständigung hergestellt werden kann, sondern dass gerade in potentiell kontroversen Themen eine Chance liegt, sofern die Akteure bereit sind, sich auf einen solchen sicherlich auch anstrengenden und langwierigen Prozess einzulassen. Ich denke, dass wir uns längerfristig betrachtet eher näher kommen können, wenn wir uns nicht nur hinsichtlich unserer Gemeinsamkeiten, sondern auch in unserer Unterschiedlichkeit kennen, akzeptieren und auch schätzen lernen. 

Was wären aus Ihrer Sicht Themen oder Zugänge, die Jugendliche für die Beteiligung an den Themenjahren begeistern/motivieren könnten?

Grundsätzlich finde ich Themen gut, die im deutsch-russischen Dialog mitunter kontrovers diskutiert werden. Sie bieten die Gelegenheit, mögliche Unterschiede kennenzulernen, aber auch Missverständnisse und Vorurteile abzubauen. Aber auch hier gilt vor allem: Die Bereitschaft, auch schwierige Auseinandersetzungen zu führen, muss bei den Jugendlichen vorhanden sein. Und es muss auch entsprechend begleitet werden.