Ines Ackermann
Wann und wo treffen wir uns morgen früh? Wie funktioniert dieses Spiel? Wenn alle dieselbe Sprache gleich gut sprechen, ist das schnell geklärt. Das ist in deutsch-russisch gemischten Gruppen aber in der Regel nicht der Fall. Wie Sprachmittlung hier Abhilfe schaffen kann, erklärt Ines Ackermann im folgenden Text.
Wenn wir Text zwischen zwei oder mehreren Sprachen übertragen bzw. (ver)mitteln, wird zwischen folgenden Tätigkeiten unterschieden:
Gut zu wissen: Häufig wird der Begriff „Sprachmittlung“ als Oberbegriff verwendet, der alle Übertragungen von einer in die andere Sprache umfasst. So wird z.B. im schulischen Kontext „Sprachmitteln“ nicht auf die mündliche Übertragung von Texten begrenzt.
Es ist empfehlenswert, der Gruppe zu Beginn zu erklären, wie mit Sprachmittlung gearbeitet wird, denn das bedeutet, dass nach gewissen Redeabschnitten eine Pause für die Verdolmetschung gemacht werden muss, aber auch, dass Sprachmittlerinnen oder Sprachmittler wenn sie „ich“ sagen, in die Rolle der Person schlüpfen, deren Aussage sie wiedergeben.
Wenn mit Sprachmittlung gearbeitet wird, verändert sich die Dynamik in der Gruppe. Denn jeder Redebeitrag braucht nun (bei zwei Sprachen) die doppelte Zeit. Es gibt immer einen Teil der Gruppe, der zunächst nichts versteht, und einen Teil, der bei der Wiederholung in der anderen Sprache nicht zuhören muss. So kommt es leicht vor, dass man in Gedanken abschweift oder Randgespräche entstehen oder aber, dass ein Teil schon mit einer Übung starten möchte, während der andere noch auf die Verdolmetschung wartet. Es ist also Geduld und Disziplin gefragt. Manche Teilnehmenden nehmen diese Entschleunigung auch als Vorteil wahr, denn die Pausen geben mehr Zeit zum Reflektieren.
Ein großer Vorteil an der Arbeit mit Sprachmittlung im Gegensatz z.B. zur Kommunikation in einer der Muttersprachen oder auf Englisch ist es, dass so beide Sprachen gleich wichtig und gleich präsent sind, im Idealfall auch auf schriftlichen Dokumenten. Wird dagegen z.B. alles im Plenum auf Deutsch besprochen, sind die russischen Teilnehmenden immer in einer schwächeren Position, müssen sich in einer Fremdsprache ausdrücken und die richtigen Worte finden. Schüchterne Jugendliche hält das evtl. ganz davon ab, etwas im Plenum zu sagen.
Besonders wenn im Leitungsteam nicht alle Personen zweisprachig sind, sind gegenseitige Verlässlichkeit zwischen Sprachmittelnden und Team und genaue Absprachen nötig. Denn eine Leitung, die selbst nicht alle Randgespräche und Zwischentöne in der Gruppe verstehen kann, ist darauf angewiesen, dass ihr dies durch die Sprachmittlung erklärt wird. Es ist eine große Herausforderung, wenn auch innerhalb des Leitungsteams nur mit Hilfe von Sprachmittlung kommuniziert werden kann. Eine gemeinsame Teamsprache zu haben (auch z.B. Englisch) ist sehr zu empfehlen.
Damit sich die Sprachmittelnden auf die Begegnung einstellen und vorbereiten können, sollten sie das Programm und alle vorhandenen Informationen vorher erhalten. Je besser sie informiert sind, desto genauer können sie die Intention des Leitungsteams auch weitergeben. Deshalb sollten sie auch zumindest zum Teil bei Teamsitzungen mit eingebunden werden.
Bei der Programmplanung kann das Leitungsteam im Vorfeld mit der Sprachmittlung überlegen, welche Methoden mit Sprachmittlung durchführbar sind und wo eventuell Veränderungen vorgenommen werden müssen. Manche Methoden funktionieren nicht gut, wenn dabei konsekutiv gedolmetscht wird. Dazu gehören z.B. Geschwindigkeitsspiele, bei denen ein Teil der Gruppe bereits reagieren würde, bevor der andere Teil überhaupt erfährt, worum es geht. Aber auch Übungen, die mit Sprache spielen, funktionieren meist nicht zweisprachig. Die meisten Aufgaben lassen sich so abändern, dass sie auch in mehrsprachigen Gruppen durchführbar sind (z.B. auf Englisch oder nonverbal mit Gesten, statt mit Worten). Im Kapitel zur Sprachanimation finden sich Informationen zu Methoden, die gut für eine bilaterale Gruppe geeignet sind.
Viele Leitungsteams schreiben am Abend noch ein Flipchart für das Programm des nächsten Tages. Hier empfiehlt es sich, vorher zu überlegen und abzusprechen, was der Sprachmittler oder die Sprachmittlerin dann „noch schnell“ nachts übersetzen muss. Auch bei Handouts und ähnlichen Materialien sollte geklärt sein, ob schriftliches Übersetzen (auch im Vorfeld) ein Teil des Auftrags ist. Das gilt ebenso für eventuelle Transkriptionen von kyrillischen Texten in lateinische Buchstaben, z.B. für Spiele.
Die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch fördert Sprachmittlung finanziell. Dieses Angebot richtet sich nicht nach Honorarsätzen professioneller Dolmetscherinnen bzw. Dolmetscher. Erfahrungsgemäß ist die Sprachmittlung aber z.B. für Studierende eine schöne Ferientätigkeit, bei der sie etwas Neues erleben, ihre Fähigkeiten ausprobieren und ein kleines Taschengeld hinzuverdienen können. Entsprechend sind Sprachmittlerinnen und Sprachmittler aber auch (noch) keine Profis. Es kann also durchaus sein, dass einmal kleine (oft lustige) Fehler passieren und eine Richtigstellung (am besten nicht als Bloßstellung vor der Gruppe) sinnvoll sein kann.
Weil die Rollenverteilung zwischen Leitungsteam und Sprachmittlung ganz unterschiedlich sein kann, ist es wichtig, dass die Rollen für alle, also auch für die Teilnehmenden transparent sind.
Hier ein paar Beispiele, bei denen eine Absprache im Vorfeld sinnvoll ist:
Oft sind Sprachmittlerinnen und Sprachmittler auch eine Art Verbindung zwischen Team und Teilnehmenden und vom Alter her näher an den Teilnehmenden als an der Leitung. Dennoch ist es wichtig, dass sie in die Überlegungen des Teams eingebunden sind, an Teamsitzungen teilnehmen und somit wissen, was das Team plant.
Hier sind viele Varianten möglich: die Leitung, die Gruppe selbst oder auch die Sprachmittlerin bzw. der Sprachmittler.
Die Sprachmittlung könnte kurz unterbrechen und der Leitung mitteilen, was gerade gesagt wurde. Alternativ könnte sie auch laut für die gesamte Gruppe dolmetschen, so dass die Leitung darauf eingehen kann. Wenn z.B. Schimpfwörter nicht übersetzt (oder erklärt) werden, weiß die Leitung nicht, dass überhaupt eine Beleidigung stattgefunden hat. Die vielleicht gut gemeinte Intention einer Sprachmittlerin oder eines Sprachmittlers, es nicht noch schlimmer machen zu wollen, würde dazu führen, dass die Leitung nicht auf das Gesagte reagieren kann.
Besonders wenn das Leitungsteam zweisprachig ist, gerät leicht in Vergessenheit, dass ein Teil der Teilnehmenden nicht versteht, warum z.B. gelacht wird. Dadurch werden sie ausgeschlossen. Team und Sprachmittlung sollten daher immer darauf achten, auch solche „Kleinigkeiten“ mit zu verdolmetschen.
Das können sehr unterschiedliche Dinge sein: ein Laternenzug, der Tag des Sieges oder ein Sauerbraten.
Er oder sie kann einfach eine wörtliche Verdolmetschung versuchen. Wenn die Gruppe an dem Gesagten interessiert ist, wird sicherlich jemand nachfragen, vielleicht auch die Leitung. Wenn es nicht möglich ist, das Gesagte einfach in der anderen Sprache wiederzugeben, kann er/sie die Leitung darauf aufmerksam machen. Dann kann jemand aus der Gruppe oder die Leitung den Begriff erklären. So bleibt die Sprachmittlung in ihrer Rolle und übernimmt nicht versehentlich die inhaltliche Gestaltung der Begegnung. In jedem Fall lohnt es sich, Sprachmittlerinnen bzw. Sprachmittler zu ermutigen, auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen – das zeugt nicht von mangelnden Sprachkenntnissen, sondern von Kultursensibilität.
In manchen Fällen sind die Sprachmittelnden ein Teil des Leitungsteams, so dass sie auch die Aufsicht übernehmen. Bei einer klaren Rollentrennung ist dies aber nicht zu empfehlen, besonders dann nicht, wenn die Sprachmittlerin bzw. der Sprachmittler nur wenig älter als oder gleich alt wie die Teilnehmenden ist.
Zweifelsohne ist es sehr praktisch, wenn die Leitung beide Sprachen spricht. So kann sie Zwischentöne auffangen, die in der Gruppe vorhanden sind und ihre Wahrnehmung mit der der Sprachmittlung abgleichen. Sie kann auch die Sprachmittlerin oder den Sprachmittler überprüfen: Wurde alles verdolmetscht, ist auch der Tonfall so, wie in der ursprünglichen Aussage? Denn schon eine nur wenig andere Wortwahl (wie mit Kindern oder wie mit Erwachsenen sprechen, duzen oder siezen usw.) verändern das Gesagte ungemein.
So verlockend es ist, dann lieber gleich alles selbst zu dolmetschen: Es ist aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll, eine Begegnung zu leiten und selbst zu verdolmetschen. Zum einen ist die eigene Energie nicht unbegrenzt. Das Programm zu planen, den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen zu halten, auf die Teilnehmenden einzugehen, sich im Team abzustimmen, … UND dann auch noch alles zu dolmetschen, also alles doppelt zu sagen und immer geistig voll anwesend zu sein – das ist sehr viel für eine mehrtägige Begegnung. Ein anderer wichtiger Punkt ist der Rollenkonflikt, in den die Leitung gerät, wenn sie dolmetscht: Sie spricht für sich, ist aber auch gleichzeitig die Stimme der Teilnehmenden. Das kann zu einer verwirrenden Dynamik führen.
Sprachmittlung erleichtert Ihnen die Durchführung Ihrer Begegnung beträchtlich und bringt die Teilnehmenden intensiver ins Gespräch miteinander. Wenn Sie den Einsatz von Sprachmittlung gut vorbereiten und bewusst einbeziehen, sind sprachliche Unterschiede kein Hindernis, sondern eine Bereicherung.
Dr. Ines Ackermann ist seit 2005 als Trainerin, Sprachmittlerin und Dolmetscherin bei internationalen (v.a. deutsch-polnischen) Begegnungen tätig. Sie spricht Deutsch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch und Englisch und weiß, welche (nicht nur sprachlichen) Herausforderungen in internationalen Begegnungen stecken.