Ich wünsche МИР...

Interview mit Thomas Vogt, Initiator des Projekts "Musik für den Frieden"

Wir sprechen mit Thomas Vogt, der gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Vogt das Projekt „Musik für den Frieden – Музыка ради Mира“ ins Leben gerufen hat. Die Initiative bringt Jugendliche aus Deutschland und Russland zusammen auf eine Bühne. Die gemeinsamen Inszenierungen in Form von Musik, Tanz und Theater zeigen auf beeindruckende Weise, welche großartigen Projekte entstehen, wenn die Zusammenarbeit auf Freundschaft und Vertrauen basieren. Genau das haben Ulrike und Thomas Vogt sowie ihre Partner aus Twer und die engagierten Jugendlichen mit ihren zahlreichen Projekten und Aufführungen in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt. Hintergründe zur Initiative und dem Jugendensemble „Ensemble MIR“ sowie eine Einschätzung, ob Musik ein Wegbereiter für eine friedliche Zukunft ist, gibt Thomas Vogt in diesem Interview.

1.   Können Sie kurz beschreiben, aus welcher Idee heraus „Musik für den Frieden“ entstanden ist?

Das Projekt „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“ gibt es seit 2018. Meine Frau und ich waren damals deprimiert über die politische Situation und die Nachrichten, die uns tagtäglich über die Medien erreichten. Aber nur auf dem Sofa sitzen und sich ärgern, war für uns auf die Dauer keine Lösung. Wir fühlten uns ohnmächtig, sagten uns aber, wir müssen mit dem, was wir können etwas zur Veränderung der Situation beitragen. Das ist bei uns beiden nun mal die Musik und die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen.
Ich war Musiklehrer an einem Gymnasium. Seit vielen Jahren führten meine Frau und ich dort große Musicals mit den Schülerinnen und Schülern auf. Da entstand die Idee, ein entsprechendes Jugendensemble in Russland zu finden und gemeinsame Aufführungen durchzuführen.
 

2. Und wie kam es dazu, dass aus einer Idee ein Projekt und später sogar ein eigener Verein wurde?

Auf der Internetplattform der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch stellten wir unsere Idee vor und relativ schnell meldete sich Andrey Korjakov mit seinem Ensemble „Theatr Premier“ aus Twer. Daraus ergab sich eine intensive Zusammenarbeit und 2019 Aufführungen in Twer und Moskau. Später auch mehrere Konzerte in Süddeutschland. Unterstützt wurden wir neben der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch unter anderem auch von der Deutschen Botschaft in Moskau. Zeitungen und Fernsehen berichteten sowohl in Russland als auch in Deutschland sehr positiv über das Projekt „Musik für den Frieden“.
Im Herbst 2021 trat ich in den „Ruhestand“. Wir wollten aber unbedingt das Projekt fortführen. Da meine ehemalige Schule als juristischer Träger des Projektes nicht mehr in Frage kam, gründeten wir den Verein „Musik für den Frieden e.V.“ Gründungsmitglieder waren auch viele Jugendliche, die die Projekte schon mitgestaltet hatten. Die neue Gruppe heißt nun „Ensemble MIR“ (Music for International Relations). Das Ensemble ist offen für alle Jugendliche, die durch Tanz, Theater und Musik etwas für ein zukünftig besseres und friedlicheres Europa tun möchten. Ehemalige Teilnehmende sind inzwischen über ganz Deutschland verteilt, so dass sich unsere Idee auch überregional verbreiten kann.

3.   „Musik für den Frieden“ wird dieses Jahr mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Können Sie uns ein für diese Initiative bezeichnendes Projekt mit deutschen und russischen Jugendlichen beschreiben?

Wie gesagt, unsere Projekte waren 2019 noch Live-Konzerte in Russland und Deutschland mit lebendigen, lustigen und freundschaftlichen Begegnungen der beteiligten Jugendlichen. Während der Corona-Pandemie war ein persönlicher Austausch, wie bei allen anderen auch, nicht mehr möglich. Wir verlegten unsere Aktivitäten ins Internet und produzierten drei Musikvideos. Dabei gab es einen monatelangen regen Austausch von Video- und musikalischem Material hin und her, bis die Produktion fertig war. Das erste Video „Heal the World“ wurde sogar anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes auf den Kulturkanälen der Deutschen Botschaft in Moskau und des Deutsch-Russischen Forums gepostet.
Das zweite Video hatte den Titel „Wolga trifft Rhein“ und zeigt das unbeschwerte Leben der Jugendlichen an Rhein und Wolga, das sich in seinen Lebensäußerungen, Hoffnungen und Träumen gar nicht wesentlich voneinander unterscheidet.

Das dritte Video mit dem Titel „Du bist stärker als dein Schatten“ wurde Anfang Februar, kurz vor Ausbruch des Krieges, veröffentlicht. Es thematisiert in erschreckender Weise die Schattenseiten des Menschen, aber auch die Möglichkeiten der Auflösung dieser Schatten. Da die Produktion dieses Videos in die Zeit der Umstrukturierung des neu gegründeten Vereins und viele neue deutsche Teilnehmende fiel, wurde in Twer vor allem das Video aufgenommen und geschnitten, während in Deutschland der Gesang und die Band aufgenommen und abgemischt wurden.

Dass wir den Göttinger Friedenspreis in diesem Jahr erhalten, hat uns sehr überrascht und gefreut. Es ist für uns zugleich natürlich Ansporn, die begonnene Arbeit fortzusetzen. Wir freuen uns sehr, dass wir am 11. September, dem Tag der Preisverleihung, ein Konzert mit dem Titel „Die junge Zivilgesellschaft reicht sich die Hand“ in der Gedächtniskirche in Berlin geben dürfen.

4.   Was bedeutet der anhaltende Krieg für den Verein und wie hat sich die Arbeit für Musik für den Frieden verändert?

Der Krieg ist für alle Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind und leiden, eine unfassbare Katastrophe. Wir haben als Zeichen der Solidarität Mitte Mai hier in unserem Städtchen Müllheim ein Benefizkonzert gegeben und Spenden für die ortsansässigen Hilfsorganisationen gesammelt.

„Musik für den Frieden“ hat im Januar 2022 als die Spannungen zunahmen, einen Aufruf an alle Bundestagsabgeordneten, Ministerpräsidenten der Länder und verantwortlichen russischen Politiker geschrieben und auf change.org veröffentlicht. Darin appellieren wir zu einem konstruktiven, empathischen Dialog zurückzukehren und den Geist der Charta von Paris wieder aufleben zu lassen. Einige Politiker aus unserem Wahlkreis haben sich daraufhin bei uns gemeldet, sich für unsere Projekte interessiert und versprochen uns zu unterstützen.

Viele deutsch-russischen Austauschprogramme wurden wegen des Krieges auf Eis gelegt. Da die Projekte „Musik für den Frieden“ auf persönlicher Ebene durchgeführt werden und nicht von staatlichen Stellen tangiert sind, haben wir uns entschlossen, unsere Zusammenarbeit weiterzuführen. Wir meinen, dass diese Verbindung gerade der Jugend wichtiger ist, denn je. Wir kommunizieren weiterhin auf verschiedenen Kanälen und planen weitere Projekte.

Wir sind uns bewusst, dass der Krieg und das Zerwürfnis zwischen den westlichen Staaten und Russland einen gedeihlichen Austausch zwischen den Ländern und seinen Menschen über Jahre hinaus erschweren und behindern wird. Trotzdem hoffen wir, dass „Musik für den Frieden“ einen Keim legen kann für ein zukünftig friedliches Zusammenleben in Europa.

5.    Was glauben Sie, welche Rolle Musik oder generell Kultur in gesellschaftlich und politisch angespannten Zeiten spielen kann?

Der große Geiger Yehudi Menuhin sagte einmal: „Musik ist die Muttersprache aller Menschen“. Musik kann jeder und jede über alle menschlichen und politischen Grenzen hinweg verstehen. Musik geht von Herz zu Herz. Das erleben die jungen Musiker so, aber auch die Zuhörer, die das wahrnehmen. Musik ist ein emotionales Erlebnis.

Der Krieg, die Gewalt findet vor allem auf der physischen Ebene statt, auch wenn Hass und entfesselte Gefühle Auslöser sind. Kriegswerkzeuge sind materieller Art: Panzer, Kriegsschiffe, Raketen. Dafür wird leider sehr, sehr viel Geld ausgegeben.

Frieden lebt und gedeiht auf der seelischen, emotionalen Ebene. Beim Musizieren lernt man aufeinander zu hören, entwickelt Verständnis für die Stimme des anderen. Im Einschwingen auf einen gemeinsamen Rhythmus lernt man sich gegenseitig kennen. Ziel ist es mit dem jeweils eigenen Ton mit den anderen ein harmonisches Werk zu schaffen, Teil eines größeren Ganzen zu sein, empathisch und wohlwollend zu kommunizieren. In diesem sozial-symphonischen Körper gibt es keine Sieger und keine Verlierer. Das sind die „Friedenswerkzeuge“, die wir den jungen Menschen durch die Musik an die Hand geben wollen.

Musik kann in dieser Hinsicht Brücken bauen für Verständnis und Freundschaft auch in politisch schwierigen Zeiten.

6.   Ich wünsche MИP….? 

Natürlich wünsche ich mir, dass der unsägliche Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beendet wird. Dass gute Lösungen und Wege gefunden werden, mit denen alle Beteiligten leben können. Dass die Menschen wieder zueinander finden und sich vergeben können. Dass die vielen familiären und freundschaftlichen Bande, die es vor dem Krieg gab, wieder geknüpft werden können. 
Verständlicherweise schauen wir jetzt alle auf die Ukraine, wir sollten aber nicht vergessen, dass es viele Konflikte und Kriege auf der Welt gibt, die auch unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl brauchen.

Für „Musik für den Frieden“ wünsche ich mir, dass es beitragen kann, zu dem so wichtigen freundschaftlichen Verhältnis zwischen den Nachbarn Deutschland und Russland vor allem für die junge Generation und die folgenden Generationen. Dazu wäre es wunderbar, wenn „Musik für den Frieden“ wächst und überall möglichst viele Musik und Tanz begeisterte Jugendliche diesen Impuls aufnehmen und weitertragen.

 

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