Christine Ahlhaus
Solar-Anlage bauen, Taschen nähen, Rollenspiel einüben – mit jeder Erfahrung, die Jugendliche bei einem Jugendaustausch machen, lernen sie etwas Neues. Eine einzigartige Chance.
„Wo ist der Lötkolben?“ „Vorsicht, heiß!“ „Was heißt Solarzelle auf Russisch?“ 40 junge Menschen sitzen im Technikraum, schrauben und löten und haben am Ende nicht nur eine kleine Solaranlage, mit der sie ihr Handy aufladen können, sondern auch ganz viele Lernprozesse durchlaufen.
Tiemo Hoffstadt, Lehrer für Arbeitslehre Technik an der Konrad-Adenauer-Hauptschule in Wipperfürth, erzählt: „Die Jugendlichen lernen ausgehend von alltäglichen Erfahrungen. Jede und jeder besitzt ein Handy und kennt die Situation: Nix geht mehr, Handy leer! Wie komme ich ohne Steckdose an Energie?“ Abstrakte Begriffe wie „Regenerative Energie“ werden in einen Zusammenhang gebracht, Vor- und Nachteile diskutiert und konkret beim Bau der Solaranlage angewandt, so Hoffstadt.
Damit beschreibt er sehr genau, welcher Lernprozess im Jugendaustausch tagtäglich passiert: Die Teilnehmenden bewegen sich in unterschiedlichen Kontexten, erleben neue Situationen, basteln an technischen Lösungen genauso wie sie theoretische Hintergründe diskutieren – ganz losgelöst von Schulfächern, Vereinsstrukturen oder Arbeitsgemeinschaften, die sie sonst gewohnt sind. Die Pädagogik spricht von erfahrungsbasiertem oder non-formalem Lernen. Die Schlagworte hier sind Vielfalt, Kreativität, Diversität und Unabhängigkeit. Genau dies ist bei der Planung eines gemeinsamen internationalen Projektes die Grundidee: Was bringen Jugendliche aus Deutschland und Russland an gemeinsamen Erfahrungen mit? Wie und an welcher Stelle können sie sich mit ihren Kompetenzen einbringen?
Fachlehrer Hoffstadt sagt: „Einige Teilnehmende bevorzugen die Auseinandersetzung mit abstrakten Begriffen und sind sehr kreativ in der Darstellung ihrer Ergebnisse, wie z.B. in Form einer Power-Point-Präsentation über die Stromgewinnung durch Sonnenenergie. Andere setzen sich viel lieber aktiv mit dem Thema auseinander und zeigen, wie die Drähte für die Solaranlage verbunden werden und wie sie letztendlich funktioniert.“
Unterschiedliche Lerntypen, alle Sinne, Fähigkeiten und Fertigkeiten finden Berücksichtigung – der Lernprozess wird nachhaltig. Und das nicht nur bezogen auf ein Handyproblem.
Im internationalen Kontext erforschen die Teilnehmenden bestehende Weltansichten, erkunden alternative Sichtweisen, überdenken ihr Verständnis und ihr Verhalten. Gleichzeitig erproben sie ihre Möglichkeiten und Chancen, sich an gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Entwicklung zu beteiligen. Damit leistet der Jugendaustausch einen Beitrag zum lebenslangen Lernen und für mehr Bildungsgerechtigkeit.
„Was heißt Solarzelle auf Russisch?“ Das kann Katja aus Tscheljabinsk beantworten. Sie nimmt ihrerseits nicht nur eine Bauanleitung mit nach Hause, sondern auch eine Idee von gemeinsamer Problemlösung und übertragbaren Handlungsstrategien. Das wird ihr und allen Teilnehmenden an internationalen Austauschprogrammen helfen, wenn sie mit ihrer Sprache an Grenzen stoßen, sie sich in ungewohnter Umgebung zurechtfinden oder sich mit Alltagsproblemen genauso wie mit globalen Herausforderungen auseinandersetzen müssen.
Viel Neues gelernt und Chancen genutzt. Dafür bieten Sie, die Projektleiterinnen und Projektleiter, mit Ihren Projekten ein breites Erfahrungsfeld.
Christine Ahlhaus ist Lehrerin an der Konrad-Adenauer-Hauptschule in Wipperfürth (NRW). Seit vielen Jahren organisiert und begleitet sie Schüleraustauschprojekte mit Russland und anderen Ländern.
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