Ich wünsche МИР...

Interview mit Felix Schmidtke, u.a. Vorsitzender von Apollo e.V. und Mitglied im Team Drusja

Felix Schmidtke arbeitet als Lehrer in Mainz und ist einer der langjährigsten Sprachanimateure der Stiftung DRJA. Das Herz des gebürtigen Kölners schlägt schon lange für Verständigung und Austausch zwischen Deutschland und Osteuropa. Das äußert sich vor allem in den vielen Austauschprojekten und Jugendbegegnungen, die er mit besonderem Fokus auf Ökologie, Nachhaltigkeit und Landwirtschaft organisiert. Im Laufe seiner jahrelangen Tätigkeit als Sprachanimateur im Team Drusja hatte er des Öfteren Einsätze in Russland und lernte so Land und Leute kennen. Zuvor lebte er im Zuge seines Freiwilligendienstes in der Ukraine. Die Zeit dort beschreibt er als prägend und verbindet diese vor allem mit einem innigen Bezug zum Land, dessen Kultur sowie dessen Menschen. Wir fragen Felix, welche Auswirkungen das aktuelle Spannungsfeld auf ihn und seine Arbeit genommen hat und wie es jetzt für ihn ist, jungen Leuten Russisch als Fremdsprache zu vermitteln.

1.  Seit 2013 bist du im Team Drusja als Sprachanimateur aktiv. Was hat dich motiviert, als Sprachanimateur und Trainer bei der Stiftung DRJA anzufangen?

Stimmt, Ende dieses Jahres werden es 10 Jahre im Team Drusja sein! Eine Zeit voller wertvoller Erfahrungen und sehr viel Spaß. Motiviert hat mich damals der Gedanke, zum Austausch und Kennenlernen junger Menschen aus Deutschland und Osteuropa beizutragen. Ich war kurz zuvor von zwei Jahren in der Ukraine zurückgekehrt und wollte meine dort gewonnenen Russischkenntnisse sinnvoll einsetzen. In Russland war ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nie gewesen, aber hatte Lust auf die spannenden Aufgaben im Team als Sprachanimateur.
 

2.  Dein Faible für Fremdsprachen, vor allem mit Blick auf den slawischen Sprachraum, spiegelt sich auch in deiner Musik wider. Kannst du uns verraten, in wie vielen slawischen Sprachen du singen kannst und wie es dir gelungen ist, dir diese Sprachenvielfalt anzueignen?

In der Freizeit mache ich mit Freunden gerne Musik, wir interessieren uns dabei besonders für die sprachliche und musikalische Vielfalt Europas. Ein guter Freund und ich decken dabei besonders die slawischen Sprachen ab, bisher haben wir Lieder aus der Ukraine, Russland und Polen im Repertoire gehabt. Ein paar unserer Lieder laden wir auch auf YouTube hoch. Mein erster Kontakt zu den slawischen Sprachen kam durch meinen Freiwilligendienst in der ukrainischen Hauptstadt zustande, später an der Universität in Leipzig gab es in Ukrainisch nur einen Anfänger- und in Russisch nur einen mittleren Kurs, daher habe ich kurzerhand noch Polnisch gelernt. Ich war ja auf dem Weg in die Ukraine oft genug durchgefahren und fand das Land und seine Kultur spannend.
 

3.   Was hat sich für dich seit dem 24.02.22 verändert und was würdest du sagen, welche Bedeutung es jetzt hat, Russisch oder Ukrainisch zu sprechen?

Seit dem furchtbaren 24.02.2022 hat sich für mich vieles verändert - für mich als Kölner das schlimmste Weiberfastnacht aller Zeiten. Von Anfang an haben wir Demonstrationen, Petitionen und Hilfslieferungen organisiert. Im Raum Mainz und Wiesbaden entstand eine Initiative zur Unterstützung Geflüchteter. Alle paar Tage bin ich an Bahnhöfe gefahren und habe Mütter mit ihren Kindern abgeholt und zu Familien gebracht, die sie vorübergehend aufnahmen. Aus dieser Initiative heraus gründeten wir im Frühling mitten in der Wiesbadener Fußgängerzone das „Café Ukraina“, das für mehrere Monate zum Treffpunkt, Konzertsaal und Klassenzimmer und schließlich auch Arbeitgeber vieler Geflüchteter aus der ganzen Region wurde. In meiner Schule in Mainz habe ich die Integrationsklasse der ukrainischen Kinder übernommen, im Winter schickten wir Generatoren und warme Sachen an die Front und andere Unterkünfte.

Wer Russisch oder Ukrainisch kann, ist in dieser Zeit natürlich besonders gefragt als Übersetzer und Vermittler, hat aber auch eine besondere Verantwortung: Erstens, den Menschen aus der Ukraine das Ankommen zu erleichtern, zweitens, Brücken zu bauen und drittens Menschen von hier das Verständnis der Situation und der Hintergründe zu erleichtern.
 

4.   Wie sieht dein Fokus jetzt aus, wenn du als Sprachanimateur Russisch vorstellst?

Schon knapp drei Wochen nach dem großen Angriff Russlands auf die Ukraine hatte ich einen Einsatz auf einem Sprachentag an einer Schule im Ruhrgebiet. Es war schon merkwürdig, in einer solchen Situation Werbung für Russisch als Fremdsprache machen zu sollen. Gemeinsam mit der Russischlehrerin haben wir uns im Vorfeld ausgetauscht und waren uns einig: Gerade jetzt ist es wichtig, hier in Deutschland junge Menschen zu haben, die Russland und den russischsprachigen Raum gut kennen und bereit sind, wenn auch in Russland wieder hellere Zeiten beginnen. Im Endeffekt wurde es eine der intensivsten und tiefgründigsten Begegnungen mit einer Klasse überhaupt.
 

5.   Du hast im letzten Jahr an einer Konfliktschulung von der Stiftung teilgenommen. Was konntest du im Zuge dessen für dich mitnehmen und kannst du einschätzen, wie es dir helfen kann, im aktuellen Spannungsfeld zu bestehen?

Konflikte gibt es auf allen Ebenen und Maßstäben. Meine Rolle sehe ich besonders darin, Auseinandersetzungen auf der persönlichen Ebene begegnen zu können und konstruktiv Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei hat uns die Schulung sehr geholfen. Wenn Austausch mit Russland wieder möglich sein wird, wird es einiges zu tun geben. Einstellungen werden geprägt und verfestigen sich im Laufe der Zeit. Durch die russische Propaganda werden zurzeit massiv Skepsis und Abneigung gegenüber „dem Westen“ geschürt. Doch eine gemeinsame Zukunft kann es nur zusammen geben.
 

6.       Ich wünsche MИP…?

... Frieden in der Ukraine und auch überall anders auf der Welt.

... für Russland einen politischen, zivilgesellschaftlichen und erinnerungskulturellen Wandel und freundschaftliche, entkolonialisierte Beziehungen zu allen Nachbarländern.

... für die Ukraine eine selbstbestimmte Zukunft in Frieden und Wohlstand und die Kraft zum Vergeben.