Ich wünsche МИР...

Interview mit Peter Steger, Partnerschaftsbeauftragter der Stadt Erlangen 

Wir sprechen mit Peter Steger, Partnerschaftsbeauftragter der Stadt Erlangen, der unter anderem die Kontakte zur russischen Stadt Wladimir koordiniert. Der Sohn eines ehemaligen Wehrmachtoffiziers studierte an der Universität Bamberg Anglistik und Slawistik mit dem Hauptfach Russisch. Parallel folgten Tätigkeiten als Herausgeber, Autor und Übersetzer russischer und polnischer (literarischer) Texte. Neben seinem beruflichen Engagement schreibt er in seinem persönlichen Blog „Erlangen – Wladimir“ regelmäßig über die Partnerschaft sowie allgemein über Russland und die deutsch-russischen Beziehungen. In unserem Gespräch fragen wir, was Peter Steger zu seinem Engagement bewog, wie nahe ihm der Angriffskrieg geht und was er sich für die Zukunft für die ukrainische und russische Bevölkerung wünscht.

1. Wie lange engagieren Sie sich innerhalb der Städtepartnerschaft zwischen Erlangen und Wladimir für den Jugendaustausch?

Als ich 1991 mit der ersten Delegation von Wehrmachtsveteranen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes nach Wladimir kam, nannten mich die Gastgeber den „jüngsten in ihren Reihen“. Jetzt bin ich selbst schon Veteran der Partnerschaft, die ich seit 1987 begleite, zunächst als ehrenamtlicher Dolmetscher und seit 1989 hauptamtlich als Partnerschaftsbeauftragter. Der Jugendaustausch gehörte von Beginn an zu den Konstanten dieser Verbindung, hauptsächlich getragen von der katholischen Jugend des Erzbistums Bamberg, aber auch von verschiedenen Pfadfindergruppen und anderen Organisationen, von den Schulen und der Universität ganz zu schweigen. Vor Corona hatten wir jährlich deutlich über einhundert Begegnungen, davon sicher ein Drittel mit Jugendlichen. Mittlerweile hat sich während der Pandemie ein reges Hin und Her per Videokonferenzen entwickelt, sogar mit Wettbewerben und Ausschreibungen. In diese Verbindung ist seit Mitte der 90er Jahre auch unsere thüringische Partnerstadt, Jena, eingebunden, zunächst mit einem EU-Austauschprojekt, seit 2008 aber auch als Kooperationspartner und da insbesondere zwischen der Euro-Werkstatt Jena und dem Euro-Klub Wladimir.

2. Was war der Auslöser für Ihr Interesse an Russland?

Auslöser für mein persönliches Engagement war und bleibt die Erfahrung meines Vaters, der als SS-Offizier an der Ostfront eingesetzt war und mich von frühester Kindheit an im Geist der Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion erzog. Freiwillig an der Ostfront, machte er den gesamten Feldzug bis zur Schlacht bei Kursk sowie den Rückzug mit. Er überlebte, aber das Erschrecken und Grauen über die Grausamkeiten des Krieges wirkten bei Ihm schmerzlich nach. Wie viele seiner Altersgenossen kam er moralisch gebrochen nach Hause und bekam erst Ende der 50er Jahre mit der Gründung einer Familie wieder Boden unter den Füßen. Doch er hat aus dem Fluch des Krieges auf gewisse Weise einen Segen gemacht und damit uns, seinen Kindern und Kindeskindern, vorgelebt, wie man auch noch die schlimmsten Erlebnisse ins Gute wenden kann. Indem er über seine Kriegserlebnisse nicht verstummte, sondern die Erinnerungskultur an diese Zeit aufrechterhielt. In all seinen Erzählungen schwang immer der Versöhnungsgedanke mit: „Die russischen Menschen sind gut; sie haben uns, die Angreifer, immer als Menschen behandelt und das wenige, das sie hatten, mit uns geteilt.“

3. Wie haben Sie in den Jahren Russland und seine Menschen erlebt?

Für mich waren Land und Leute vom ersten Besuch 1983 an – es folgten gut 130 weitere Reisen – wie eine zweite Heimat. Ich erfuhr immer und überall Entgegenkommen und Freundschaft, eine überwältigende Bereitschaft zur Zusammenarbeit und aufrichtiges Interesse an meinen Aufgaben als (literarischer) Übersetzer, Dolmetscher, Partnerschaftsbeauftragter, Buchautor, Mensch. Da fügte es sich dann auch noch glücklich, als ich 1999 meine spätere Frau in Wladimir kennenlernte.

4. Haben Sie ein Austauscherlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Da könnte ich natürlich nach fast vier Jahrzehnten im Geschirr aus dem Vollen schöpfen und Seite um Seite füllen. Aber ein Höhepunkt war sicher die erste Veteranenbegegnung im Mai 1991, als sich die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und Soldaten der Roten Armee mit den Worten verabschiedeten: „Wir wollen einander das Böse nicht mehr anrechnen. Mögen wir die letzten Kriegsveteranen sein!“ Nun sind sie leider schon alle tot, und ich bin der einzige, der dieses Vermächtnis noch weitertragen kann, gerade auch in diesen Tagen eines noch vor kurzer Zeit ganz unvorstellbaren Angriffskrieges. Einen Veteranen, Günther Liebisch, möchte ich da noch zitieren, der immer sagte: „Der Mensch kennt die Geschichte, aber er ist unfähig, daraus zu lernen.“ Recht hatte er leider!

5. Was ging in Ihnen vor, als Sie von der Invasion der russischen Streitkräfte in die Ukraine erfuhren und was gibt Ihnen Kraft mit der derzeitigen Situation umzugehen?

Darüber kann ich nicht sprechen. Tränen der Verzweiflung, Trauer und Fassungslosigkeit. Wie kann es einen Krieg zwischen zwei Ländern geben, bei denen so viele familiäre und persönliche Verbindungen bestehen!? Kraft schöpfe ich aus den vielen wunderbaren Begegnungen mit großartigen Menschen hier wie dort und der überwältigenden Unterstützung, die ich aus der Zivilgesellschaft und Kommunalpolitik für meine Verständigungsarbeit erfahre. Natürlich hat mir auch mein Vater ein „Fettpolster“ der Verbundenheit mit den Russen auf den Weg mitgegeben, von dem ich unerschöpflich zehren kann, und dann ist da natürlich meine Familie, die mich stützt, wenn mir einmal doch wieder die Kraft ausgehen sollte.

 6. Ich wünsche МИР….?

Natürlich wünsche ich mir, wie wohl alle Menschen guten Willens, einen baldigen Frieden, welcher der Ukraine ihre durch das Völkerrecht garantierten Grenzen sichert und innerhalb welcher das Land frei seinen Weg wählen kann. Die Russische Föderation sollte sich dann der eigenen Geschichte stellen und den Nachbarstaaten keine Angst mehr machen sowie wieder ins Gleichgewicht mit sich und dem „kollektiven Westen“ kommen. Im Augenblick vermag sich niemand auf der Welt vorzustellen, wie das möglich sein könnte. Aber es bleibt unser aller Aufgabe, erst recht jetzt, an einer ausbalancierten Friedensordnung für ganz Europa und weit darüber hinaus zu arbeiten. Hoffentlich kann dabei auch unsere Volksdiplomatie wieder ihre ebenso bescheidene wie unermüdliche Rolle spielen.